Der Mensch schafft gern Neues und verändert sich. Dabei hilft ihm sein eigener Antrieb und nennt ihn Selbstoptimierung. Um mehr zu erreichen, entwickelt er Maschinen und in letzter Zeit immer mehr Software bzw. Apps. Das erleichtert das Leben und schafft neue Spielräume. Aber statt die Spielräume für sich zu nutzen, stopft er sie zu gern voll mit weiteren Aktivitäten im täglichen Hamsterrad des „Schneller – Höher – Weiter“ mit nachhaltigen Folgen für seine Gesundheit und das persönliche Umfeld.
Selbstoptimierung heißt nicht mehr, sondern anders
Achtsamkeit – auch eine Möglichkeit sich zu „optimieren“. Selbstwahrnehmung hat in dem Fall nichts mit Optik zu tun, sondern mit Dingen, die wir tun. Die meisten Dinge erledigen wir inzwischen automatisch, sie werden zur Routine, sodass wir gedanklich schon oft einen Schritt weiter sind, was sich durchaus als Nachteil erweisen kann.
Was witzig gemeint ist, zeigt ganz deutlich, wir sind nicht alle dement, sondern unkonzentriert, weil uns zu viele Dinge durch den Kopf gehen. Wenn ich in die Küche gehe, um mir einen Tee zu machen, denke ich auf dem Weg nicht an den Tee, sondern beschäftige mich mit dem, was ich noch erledigen muss. Wenn ich dann in der Küche stehe, fällt mir nicht mehr ein, was ich in der Küche wollte. Am Arbeitsplatz erinnere ich mich dann wieder: „Ach Tee, wolltest du dir doch machen“.
Dafür gibt es eine interessante Erklärung. Es gibt eine sogenannte „Ereignisgrenze“ in dem Augenblick, wo wir durch eine Tür gehen. Wer durch eine Tür geht, vergisst eher, was er machen wollte, als jemand, der in einem Raum etwas erledigen möchte.
Der Kopf ist voller Gedanken – warum bin ich jetzt gerade hier?
Dennoch glaube ich, dass das nur ein Teil des Grundes der wohl häufigsten Frage ist: „Was wollte ich denn gerade“ oder wie eine Bekannte ergänzte: „Warum bin ich jetzt hier“. Der Kopf ist voller Gedanken, Tee zu holen ist Nebensache und hat mit der Arbeit nichts zu tun, der Weg scheint „verlorene Zeit“ zu sein.
„Achtsamkeit“ bedeutet sich in dem Zusammenhang also, sich selbst bewusster wahrnehmen. Das bedeutet, wenn ich Tee hole, denke ich ausschließlich an den Tee und freue mich über die damit verbundene Bewegung, vielleicht auch über den Geschmack, ob ich dieses Mal Honig nehme, ob ich eine neue Sorte ausprobieren sollte. So entsteht auch Abstand zu allen anderen Gedanken, die sich sonst mit Arbeit beschäftigen, die noch zu erledigen ist.
Die „Vergesslichkeit“ hängt ferner mit dem „Multitasking“ zusammen. Mein Vater sagte immer: „Man kann nur eins tun“ und aus heutiger Sicht muss ich ihm vollkommen recht geben. Wenn ich an einer Sache dran bleibe, werde ich schneller fertig. Wenn ich mehrere Aufgaben nebeneinander erledige, benötige ich nicht nur mehr Zeit, sondern es schleichen sich auch Fehler ein.
Selbstoptimierung: der kleine Diktator in mir
Der größte Kritiker bin ich wohl selbst und ich weiß, dass es vielen anderen ähnlich geht. Oft bin ich auf der Suche, was ich besser oder anders machen könnte.
„Wir leben in einer Gesellschaft, die nur Sieger sehen will“ beklagt der Medizinethiker Giovanni Maio in einem Interview in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ). Obwohl dieser Artikel aus der NZZ schon älter ist, hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, es scheint schlimmer geworden zu sein. Auf der anderen Seite überlegen sich auch viele, ob sie wirklich in diesem Hamsterrad des Besser – Schneller bleiben wollen. Neben der vier-Tage-Woche gibt es immer mehr Menschen, die völlig neue Wege gehen wollen bis zu einem Jahr Auszeit oder ein völlig neues Tätigkeitsfeld.
Selbstüberwachung durch Apps
Andererseits macht die Optimierung auch nicht vor dem eigenen Körper halt. Das führt gewissermaßen zu einer Art Selbstvermessung. Immer mehr Menschen lassen ihre Tätigkeiten überwachen. Eine Gesundheitskasse kam jetzt sogar auf die Idee, den Kauf einer Apple-Watch zu finanzieren, da damit alle Daten zum Lebensstil erfasst werden können. Wir trauen uns die Selbstüberwachung nicht mehr zu und überlassen es Apps.
Diese Apps überwachen:
- Gesundheit
- Bewegung bis zum Schrittzähler
- Ernährung
- Freizeitaktivitäten
Allein für den Bereich Gesundheit gibt es 13 verschiedene Apps. Dabei heißt der einfachste Tipp für die Gesundheit: Bewegung. 🙂
Ob diese Apps auch das halten, was sie versprechen, wird durchaus angezweifelt wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland anmerkt: Wie sicher sind Gesundheits-Apps?
Offenbar ist den Leuten, die diese Apps benutzen, nicht bewusst, dass sie damit ein Stück ihrer Verantwortung über das eigene Leben abgeben. Sie hören nicht mehr auf sich und die Signale ihres Körpers, sondern unterwerfen sich Programmen, die ihnen sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Achtsamkeit hat nicht nur mit unserer Lebensführung zu tun, sondern wirkt sich auf unser Denken aus. Negative Gedanken beeinflussen dementsprechend Handlungen, führen zu Ängsten und damit zu Stress. Hier muss jeder die Balance für sich finden. Natürlich darf man nie aktuelle Nachrichten aus dem Blick zu verlieren. Dennoch bleibt es wichtig, uns schönen Dingen zu widmen, gewissermaßen als Seelenmassage bzw. Psychohygiene. Wie weit sich der einzelne mit negativen Nachrichten auseinander setzen möchte, ohne seine inneres Gleichgewicht zu verlieren, nuss jeder für sich herausfinden.
Die Helfer Natur und Farben
Natur und Farben oder ein Lächeln helfen neben der Bewegung auf alle Fälle für einen seelischen Ausgleich.
Andererseits gibt es Bereiche, die durchaus noch optimiert werden können, zum Beispiel:
- Schnelligkeit bei meinen Routinetätigkeiten
- Strukturen im Tages- und Arbeitsablauf inklusive Freizeitaktivtäten und
sozialen Kontakten offline(!) - Konsequenz im Handeln – auch in der Gestaltung von Erholungsphasen
Sinnvolle Ziele stecken
Sich kontinuierlich zu verbessern, ist natürlich kein Fehler. Nur sollte das im persönlichen Rahmen in selbst gesteckten individuellen Zielen erfolgen. Dabei ist es sinnvoll, sich nicht zu viele Ziele zu stecken, diese aber konsequent einzuhalten.
Nicht wenige Menschen neigen zur Selbstkritik. Sie fürchten nicht nur, dass sie dem Erscheinungsbild der gesellschaftlichen Erwartungen nicht mehr gerecht werden könnten. Sie dehnen diese Kritik auf die Arbeitsbewältigung aus und fordern für sich mehr Leistung und Verbesserung durch Weiterbildung als stetigen Antrieb. Mit dem Homeoffice werden diese Konflikte, nicht genug zu leisten bis in das private Umfeld getragen. Am Ende stehen psychische und physische Konflikte bis zu Zusammenbrüchen. Burnout ist eine der bekanntesten Folgen.
Schlimmer als diese Angst dem Leistungsanspruch der Gesellschaft nicht mehr gerecht zu werden, nicht mehr anerkannt zu werden, nimmt heute im Alter noch zu. Die Altersweisheit führt nicht zur Ruhe, sondern mündet in ein ständiges Beweisen, dass man im Alter auch noch „mithalten“ kann.
Wer sich früh verbraucht, wird im Alter genau damit konfrontiert, wovor er am meisten Angst hat:
Er ist kraftlos.
Viele Unternehmer wissen inzwischen, dass ein ausgepowerter Arbeitnehmer die Quelle für Fehler ist, Fehler, die auch dem Unternehmen Schaden zufügen können. Unternehmen setzen deshalb immer mehr auf Kooperation und echte Teamfähigkeit.
„Cultural fit“ – Übereinstimmung in Werten und Verhaltensmustern
Die gegenläufige Bewegung zu immer mehr Fachwissen und Leistung legt Wert auf soziale Kompetenz als Teil einer Kooperationskultur. Offenheit, Kommunikation, aber auch die Fähigkeit zu delegieren stehen im Vordergrund. Zu viele glauben immer noch, wer Arbeit abgibt, zeigt Schwäche, weil er nicht alles selbst bewältigen kann. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wer Arbeit abgibt, zeigt Vertrauen in die Leistungsfähigkeit seiner Kollegen und kann sich zielgerichtet seinen Kernaufgaben widmen.
Das sind Fähigkeiten, die vor allem in der Teamarbeit gefordert sind, nämlich eine gemeinsame Zielsetzung in gemeinsamer Verantwortung. Dabei kann ein Querdenker durchaus für wichtige Aspekte in einem Team sorgen. Übereinstimmung in Werten und Verhaltensmuster kann für einen Selbstoptimierer durchaus zur Überangepasstheit führen, was ihm mehr schadet als nutzt. Hier kann ein sozial engagiertes Team korrigierend wirken.
Spielräume nutzen – dem Hamsterrad entkommen
Spielraum ist ein wunderbares Wort in der deutschen Sprache. Übertragen ist die Zeit gemeint, die uns die Möglichkeit gibt, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Faulenzen schrieb die Zeit letzte Woche sollte wieder auf dem Programm stehen.
Wir sollten wieder dahin zurückfinden, dass wir arbeiten um zu leben und nicht arbeiten um zu leben, wie die Geschichte von einem Fischer in diesem Zeitartikel „Faulheit – Sagen Sie alle Termine ab“ aufzeigt.
Wer Zeit hat, kann zum diesem Thema das Interview mit Nico Paech im Bayrischen Rundfunks nachlesen: Das Leiden unter wachsender Arbeitsverdichtung. Durch die Technisierung der Arbeitswelt ist der Einzelne immer mehr in der Situation, Tätigkeiten, die früher verschiedene Personen ausgeführt haben, allein zu erledigen. Das erfordert das Eindenken in verschiedene Arbeitsprozesse, die oft mit dem eigentlichen Sachgebiet nur am Rande zu tun haben. Eine Überforderung mit zu vielen Aufgaben.
Ich fürchte allerdings, dass wir auf die Entschleunigung innerhalb der Unternehmen noch etwas warten müssen. Deshalb sollte jeder Einzelne Achtsamkeit üben und sein (Arbeits-)Leben aber vor allem seine Freizeit bewusster wahrnehmen. Dabei sollte jeder konsequenz seine Achtsamkeit im Auge behalten und konsequent an diesem Ziel arbeiten.
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