Die Rentenkassen sind leer, die Rentner immer älter, immer weniger zahlen in die Rentenkassen ein, Rückstellungen sind nicht möglich. Es wird nach neuen Wegen gesucht, die Systeme wieder zu füllen. Hier fällt der Blick auf die Selbstständigen, die bisher nur teilweise in die Rentenversicherung einbezahlen. Insbesondere 3.000.000 Freelancer wecken Begehrlichkeiten.
Die Idee, Lasten auf möglichst vielen Schultern zu verteilen, ist begrüßenswert, der Lösungsvorschlag dazu war allerdings doch realitätsfern. Gerade Freelancer als Einzelunternehmen wie z. B. Bürodienstleister sind strukturellen Einkommensschwankungen unterworfen. Neben einer Reihe von Belastungen würde eine Zwangsversicherung im Rahmen der vorgesehenen Beiträge das Aus für eine Vielzahl von Kleinbetrieben bedeuten.
Neu ist die Forderung nach Zusatzrente nicht und sie ist auch sicher nicht falsch. Forderte der DIW bereits 2000 eine Änderung des Rentensystems und warnte, dass auch für Beitragszahler mit 45 Beitragsjahren die erworbenen Ansprüche einer Standardrente mit ca. 2020 DM nicht mehr ausreiche. Vor allem aber Frauen oder Geringverdiener liefen Gefahr, im Alter zu verarmen. Die Riesterrente war die Folge.
2010 – Banken auf der Suche nach einem neuen Geschäftsmodell
Bereits 2010 preschten die Banken vor mit dem Argument: „Menschen mit erheblichen Versorgungslücken im Alter, wie etwa die Selbständigen mit unterdurchschnittlichem Verdienst oder Niedriglöhnern“ ( SZ am 18.02.2010, Printausgabe) seien von Altersarmut bedroht und schlagen eine verbindliche Altersvorsorge für alle vor.
- Dabei sollten Angestellte automatisch mit einem Arbeitsvertrag zu einer betrieblichen Altersvorsorge verpflichtet werden.
- Selbstständige sollte ebenso verpflichtend in eine private Altersvorsorge entsprechend einbezahlen.
Die offizielle Begründung liest sich plausibel: da mit den gesetzlichen Rentenbezügen die Altersbezüge nach wie vor nicht deckend seien, soll über die personenbezogene Pflichtversicherung einer drohenden Altersarmut entgegengewirkt werden. Rentenbeiträge könnten so konstant bleiben, der Ruhestand wäre finanziell abgesichert.
Die Idee dahinter jedoch ist durchschaubar: schließlich wollten die Banken die Beratung für diese Zwangsvorsorge übernehmen. Es ist eine beachtenswerte Leistung, dass die Politik sich hier der Bankenlobby entziehen konnte.
„Der Sozialstaat ist immer dann gut, wenn er den eigenen Geschäftsinteressen dient.“
2012 – steter Tropfen höhlt den Stein
Die ständige Klage über zu alte Rentner und zu wenig Nachwuchs hat allerdings seine Wirkung nicht verfehlt. Die Überlegung wie mehr Geld in die Rentenkassen kommen kann, nehmen wieder neue Formen an.
Statt das gesamte System zu überdenken und völlig umzustellen, wählt der Politik den bekannten Weg, mit mehr Beitragszahlern die leeren Rentenkassen aufzufüllen.
So geht Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen von rund drei Millionen Freiberuflern zwischen 30 und 50 Jahren aus, die noch keinem Altersvorsorgesystem angehören. Mit einer Zwangsvorsorge möchte Frau von der Leyen nun über die Selbstständigen ab Sommer 2013 mehr Einnahmen zur Altersvorsorge generieren.
Zwangsversicherung bei der Rentenkasse
Bei vielen löst dieser Gedanke – ähnlich wie bei der freiwilligen Zwangsversicherung in den Krankenkassen – große Verärgerung aus. Dabei darf man nicht vergessen, dass auch heute schon viele Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen müssen. Dazu zählen freiberufliche Dozenten, aber auch Handwerker.
Neben einer Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung haben viele private Vorsorgemodelle ebenfalls ihre Tücken.
Private Vorsorge wie Lebensversicherung, aber auch private Rentenversicherung haben wenig Renditemöglichkeiten. Andererseits verlieren mit Wirtschafts- und Bankenkrisen auch die verschiedenen Geldanlagen an Wert.
Damit lässt sich die Vorsorge der Selbstständigen nicht auf den Nenner bringen, dass sie das selbst entscheiden sollen, weil sich bewusst für ein Leben als eigenverantwortlicher Unternehmer entschieden haben.
Genau hier liegt die Krux: Selbstständige, die ihre Selbstständigkeit oft als Ausweg aus der Hartz-IV-Falle sahen, üben eine Selbstständigkeit oft in Gebieten aus, die nach allen Abzügen einem Einkommen im Niedriglohnbereich entspricht. Für sie bedeutet eine Abgabe mit rund 400,00 Euro für Rente und noch mal zwischen 300,00 und 400,00 Euro für Krankenversicherung das Aus für die Selbstständigkeit. Notwendige Investitionen, um das Geschäftsfeld zu sichern und ein adäquates Einkommen sukzessive aufzubauen, sind mit so hohen Sozialausgaben ausgeschlossen.
Problem erkannt – Lösungsansätze völlig realitätsfern
Offenbar bläst die Politik inzwischen wieder in das Horn der Versicherungslobby und fordert eine Zusatzrente, die oberhalb der Grundsicherung im Alter liegt. Hierfür legt das Arbeitsministerium die dafür nötigen Beiträge bei 45(!) Einzahlungsjahren auf 250 bis 300 Euro monatlich plus 100 Euro für eine Absicherung gegen Erwerbsminderung fest.
Nur absolute Unwissenheit über die Situation einer Vielzahl von Gründern und Selbstständigen kann Politiker dazu treiben, derartig praxisferne Vorschläge überhaupt anzudenken. Oft sichern 400,00 Euro in der Anfangsphase – aber auch über Durststrecken das „Überleben“.
Rentenpflicht benachteiligt nicht wie die Zeit schreibt nur junge Gründer, sondern erschwert Gründungen an sich.
Vielen wird eine Selbstständigkeit so erst gar nicht ermöglicht. Altersarmut wird so auf keinen Fall verhindert. Im Gegenteil – viele sehen dem Niedriglohnsektor oder gleich Arbeitslosengeld II ihrem Alter entgegen.
Was sind die Alternativen?
Weitere Erhöhung des Rentenalters wird eine der Maßnahmen sein. So plant Dänemark schon ein Rentenalter mit 74.
Selbstständige, die keine Altersvorsorge haben, wird das weniger schrecken, wird eine Arbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus für einige sogar als Freiheit der Selbstständigkeit empfunden. Anderen wird nichts anderes übrig bleiben, um so für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können.
Eine eigenverantwortliche Altersvorsorge, unabhängig von der Rentenanstalt, handhaben heute schon viele.
Lobby der selbstständigen Einzelunternehmen
Die Politik hat die Weichen gestellt, um viele Arbeitssuchende zur Selbstständigkeit zu animieren. Sie hat dabei vergessen, die Voraussetzungen für eine sinnvolle Vorsorge bei Krankenversicherung, Rentenversicherung und Ausfallversicherung zu liefern.
Leider sind die Einzelunternehmer aus den unterschiedlichsten Dienstleistungen nicht in Verbänden organisiert oder die Verbände sind unbedeutend, weil unbekannt bzw. sehr klein. Damit haben diese Selbstständigen keine Interessenvertreter, die ihre Wünsche artikulieren bzw. irgendwie auf Gesetze Einfluss nehmen können. Vor allem können sie sich nicht wehren gegen Vorschläge, die vollkommen an der Realität und den finanziellen Möglichkeiten vorbeigehen.
Da es sich wie bei Bürodienstleistungen überwiegend um Frauenberufe handelt, die auch bei den Selbstständigen oft im unteren Honorarbereich liegen, wird eine Zwangsvorsorge zur Aufgabe vieler Existenzen führen. Die Altersarmut ist für diese Frauen damit zementiert.
Bereich Sozialleistungen für Selbstständige völlig neu regeln
Die Situation der ins Auge gefassten 3 Millionen Freelancern sollte vor solchen Vorschlägen überhaupt mal erfasst werden. Hier wird schnell deutlich, dass die meisten Selbstständigen gerade so viel Einkommen erwirtschaften, dass sie dem Staat nicht „auf der Tasche liegen“. Sie tragen also zum Bruttoinlandsprodukt bei, können aber keinerlei Rücklagen schaffen.
Auch das System der Krankenversicherung, die die Beiträge nicht wie beim Angestellten am Einkommen ausrichtet, sondern an Beitragsgrenzen, die dazu führen können, das ein Selbstständiger teilweise ein Viertel seines Einkommens allein für Krankenversicherung erzielen muss, bedarf einer gründlichen Reform.
Das gesamte Sozialversicherungssystem muss gründlich reformiert werden. Das betrifft Selbstständige genauso wie Angestellte. Je breiter die Basis der Einzahler ist, desto geringer ist die Belastung für den Einzelnen.
Das würde auch Firmen entlasten, die vielleicht auch dann wieder vermehrt bereit wären, Leute fest anzustellen, da die Lohnkosten drastisch sinken würden.
Die Ökosteuer auf Benzin, die in die Rentenkasse fließen (sollten?), war hier sicher der richtige Ansatz. So trägt jeder zur Sicherung der Sozialsysteme bei, die er später als lebenswerte Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Ein Blick in die Schweiz hilft auch weiter.
Wer die Möglichkeit hat sich darüber hinaus Rücklagen zu schaffen, dem steht auch heute niemand im Wege.
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Im Mai 2012 wurde die Petition gegen die Zwangsabgabe für Rentenbeiträge erfolgreich mit über 80.000 Stimmen eingereicht. Nun hat der Petitionsausschuss dieser Petition stattgegeben. Einer der Gründe der zur Ablehnung ist, dass sie ein erhebliches Erschwernis für Existenzgründungen darstellen.
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39407/1.html